Krankengeld kannst Du so verlängern

30. Mai 2025
Für viele Erkrankte ist der Sprung in das Krankengeld zunächst eine finanzielle Brücke, doch nach spätestens 78 Wochen – gerechnet seit dem ersten Arztbesuch wegen derselben Diagnose – schließt sich diese Brücke unweigerlich. Dieser Zeitpunkt, oft lapidar „Aussteuerung“ genannt, markiert einen gravierenden Einschnitt im Leben der Betroffenen. Die Zahl 78 umfasst bereits die ersten sechs Wochen, in denen der Arbeitgeber das volle Gehalt weiterzahlt. Effektiv bleiben also höchstens 72 Wochen reines Krankengeld, ehe die Leistung stoppt. Die Befristung folgt unmittelbar aus § 48 SGB V und gilt ohne Ausnahme für jede einzelne Krankheit. Die Blockfrist: Unsichtbarer Taktgeber im Hintergrund Was viele erst merken, wenn das Ende naht, ist der Einfluss der sogenannten Blockfrist. Dieses dreijährige Zeitfenster beginnt am Tag, an dem die Krankenkasse das erste ärztliche Attest zu einer bestimmten Erkrankung anerkennt. Innerhalb dieser exakt 1 095 Tage – die Frist läuft starr im Kalender und nicht in Relation zu späteren Krankschreibungen – dürfen für dieselbe Krankheit höchstens 78 Wochen Krankengeld fließen. Läuft die Blockfrist ab, fällt automatisch der Startschuss für die nächste – gleich am nächsten Kalendertag, ob die Patientin oder der Patient arbeitsunfähig ist oder nicht. Damit setzt sich eine Kette nahtlos aneinanderstoßender Dreijahreszeiträume in Gang, die das System millimetergenau taktet. Wann ein neuer Anspruch für dieselbe Krankheit entsteht Ist die erste Blockfrist verstrichen und die 78 Wochen sind verbraucht, kann ein erneuter Krankengeldanspruch wegen exakt derselben Diagnose nur dann aufleben, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind. Erstens müssen wieder mindestens sechs Monate Mitgliedsbeiträge geflossen sein – bei Beschäftigten geschieht das automatisch über die Lohnabrechnung, bei Arbeitslosen über die Agentur für Arbeit. Zweitens braucht es eine ebenso lange Phase ohne Krankschreibung wegen dieser Erkrankung. Erst wenn beides zusammenkommt, eröffnet sich innerhalb der neuen Blockfrist erneut das gesamte 78-Wochen-Kontingent. Lesen Sie auch: - Nach Krankengeld: So wird das Arbeitslosengeld danach in 2025 berechnet Neue Krankheit, neues Kontingent Kommt eine zweite, völlig unabhängige Krankheit ins Spiel, hängt alles vom Zeitpunkt ab. Entsteht die neue Diagnose in einer Periode, in der kein Krankengeld wegen der ersten Krankheit fließt, bewertet die Kasse sie als eigenständigen Versicherungsfall. Daraus resultiert eine neue Blockfrist und ein frischer Anspruch von bis zu 78 Wochen. Passiert die neue Erkrankung jedoch während laufender Zahlungen, zählt sie systemintern zur fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit; ein zusätzlicher Topf öffnet sich nicht. Im Ergebnis entscheidet also oft der Zufall darüber, ob Betroffene in zwei getrennte Rechtskreise fallen oder ob alles unter dem Dach der ursprünglichen Blockfrist verschmilzt. Nach der Aussteuerung: Arbeitslosengeld und Nahtlosigkeitsregelung Endet das Krankengeld, wenden sich viele an die Agentur für Arbeit. Dort greift in fast allen Fällen das Arbeitslosengeld nach § 145 SGB III – häufig „Nahtlosigkeitsregelung“ genannt. Die Leistung soll verhindern, dass Menschen ohne Einkünfte bleiben, während etwa ein Rentenantrag noch geprüft wird. Für die Berechnung zählt nicht das zuletzt ausgezahlte Krankengeld, sondern das Bruttoarbeitsentgelt, das in den zwei Jahren vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielt wurde. Ein Absturz wird damit meistens abgefedert, doch bürokratischer Aufwand und erneute ärztliche Begutachtungen sind die Regel. Individuelle Beratung unverzichtbar Ob dieselbe Krankheit fortbesteht, eine neue hinzugekommen ist oder nach Aussteuerung der Wechsel zur Arbeitsagentur ansteht – jede Fallkonstellation hat ihre juristischen Feinheiten. Schon kleinste Details, etwa das genaue Datum der ersten Krankschreibung oder eine kurzfristige Unterbrechung, können Monate an Leistung kosten oder eröffnen. Deshalb raten Experten wie der Sozialverband Deutschland (SoVD) in Schleswig-Holstein, frühzeitig qualifizierte Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn sich das Ende des Krankengeldes abzeichnet. Auch Arbeitgeber- und Kassenberatungen bieten Unterstützung, um Fristen zu prüfen und Folgeleistungen nahtlos zu sichern. Lesen Sie auch: - Nach Krankengeld nicht immer wieder krankschreiben lassen Fazit Das Krankengeld ist streng getaktet: Spätestens nach 78 Wochen schließt sich das Zeitfenster für eine Krankheit, gesteuert von einer unsichtbaren, dreijährigen Blockfrist. Wer anschließend erneut erkrankt, muss entweder die Bedingungen für einen frischen Anspruch erfüllen oder – bei anderer Diagnose – von vorn beginnen. Läuft alles auf eine Aussteuerung hinaus, sichert das Arbeitslosengeld nach der Nahtlosigkeitsregelung das Einkommen zumindest übergangsweise. Komplex bleibt der Weg trotzdem. Frühzeitige Beratung, lückenlose Dokumentation und ein waches Auge auf Fristen sind daher die beste Medizin gegen unliebsame Überraschungen.
Aktuelles
30. Mai 2025
Viele Menschen mit einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) zahlen während der Berufsunfähigkeit unnötig hohe Beiträge zur Krankenversicherung – oft über Jahre hinweg. Dabei gibt es eine rechtliche Möglichkeit, diese Belastung zu umgehen. Wer sich strategisch arbeitslos meldet, kann unter bestimmten Voraussetzungen erhebliche finanzielle Vorteile erzielen – ohne zusätzliche Risiken oder illegale Schlupflöcher zu nutzen. Hohe Krankenkassenbeiträge schmälern die BU-Rente massiv Die Berufsunfähigkeitsrente soll eigentlich finanzielle Sicherheit bieten. In der Praxis sieht das oft anders aus: Bei einer monatlichen BURente von 2.000 Euro können gesetzlich Versicherte bis zu 394 Euro an monatlichen Krankenkassenbeiträgen zahlen – also rund 19,7 % der Rente. Innerhalb eines Jahres summieren sich diese Abzüge auf fast 5.000 Euro. Bei einer durchschnittlichen Dauer der Berufsunfähigkeit von sechs bis sieben Jahren kann die Belastung auf deutlich über 30.000 Euro steigen. Dieser Betrag fehlt dann für den Lebensunterhalt, Rücklagen oder medizinische Zusatzkosten. Wer zahlt überhaupt Krankenversicherungsbeiträge auf die BU-Rente? Die Pflicht zur Beitragzahlung trifft vorwiegend gesetzlich Versicherte, die während der Berufsunfähigkeit kein weiteres beitragspflichtiges Einkommen beziehen. Das betrifft besonders Selbstständige oder Personen mit BU-Renten aus privaten Verträgen (sog. „Schicht 3“Produkte), die keine Erwerbsminderungsrente erhalten. Privat Krankenversicherte müssen ihre Beiträge in voller Höhe weiterzahlen – unabhängig von ihrer Erwerbsfähigkeit. Kein Beitrag zur GKV bei Pflichtversicherung – die Ausnahme: Erwerbsminderung Personen, die nicht nur berufsunfähig, sondern zugleich erwerbsgemindert sind, bleiben pflichtversichert in der gesetzlichen Krankenversicherung. In diesem Fall sind sie beitragsfrei gestellt – zumindest was die BURente betrifft. Sie zahlen nur auf die Erwerbsminderungsrente Beiträge. Doch dieser Status ist schwer zu erreichen. Die gesetzliche Definition der Erwerbsminderung ist strenger als die der Berufsunfähigkeit. Viele Versicherte erfüllen sie trotz massiver Einschränkungen nicht. Der Trick: Pflichtversicherung über Arbeitslosengeld I Ein weitgehend unbekannter, aber legaler Weg führt über das Arbeitslosengeld I. Wer sich nach Eintritt der Berufsunfähigkeit arbeitslos meldet, wird automatisch pflichtversichert in der gesetzlichen Krankenkasse. Dadurch entfällt die Beitragspflicht auf die BU-Rente – selbst wenn keine Erwerbsminderung vorliegt. Das Arbeitslosengeld wird außerdem nicht auf die BURente angerechnet. Zudem entstehen daraus keine zusätzlichen Krankenversicherungsbeiträge. Unter bestimmten Umständen kann diese Option monatlich mehrere hundert Euro einsparen – je nach Rentenhöhe sogar fünfstellige Beträge über die gesamte Laufzeit. Lesen Sie auch: So ist die Rente nach 45 Arbeitsjahren – Neue Tabelle Rente mit 63 ohne Abschlag ist oftmals einfacher als gedacht Achtung: Arbeitslosigkeit muss realistisch und begründet sein Dieser Ansatz ist nicht risikofrei. Eine bloße Berufsunfähigkeit führt nicht automatisch zum Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Agentur für Arbeit prüft im Einzelfall, ob die betroffene Person dem Arbeitsmarkt noch zur Verfügung steht. Praxisbeispiel: Eine Person leidet unter psychischen Problemen und kann in ihrem bisherigen Beruf nicht mehr arbeiten. Eine Rückkehr ist unwahrscheinlich, aber formell ist sie nicht vollständig erwerbsgemindert. In einem solchen Fall kann die Arbeitslosmeldung sinnvoll sein – vor allem, wenn eine Umschulung oder berufliche Neuorientierung in Betracht kommt. Umschulung verlängert unter Umständen den ALG-I-Bezug Läuft das Arbeitslosengeld I aus, kann ein Antrag auf Umschulung die Bezugsdauer verlängern. Wird eine Umschulung aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt, liegt möglicherweise doch eine Erwerbsminderung vor. In dem Fall wäre die gesetzliche Rentenversicherung zuständig – was erneut zur Pflichtversicherung und damit Beitragsfreiheit führen könnte. Immer mitdenken: KV-Beiträge bei BU-Planung einrechnen So verlockend der Trick auch ist – er ist nicht für jede Lebenssituation geeignet. Wer etwa bereits erwerbsgemindert ist oder bald mit einer Rentenzahlung rechnet, für den ergibt sich kein Zusatznutzen. Auch wer arbeitslos nicht mehr vermittelbar ist, kann Probleme mit der Agentur für Arbeit bekommen. Deshalb gilt: Wer eine BU-Versicherung abschließt oder nutzt, sollte immer auch die möglichen Krankenkassenbeiträge einplanen. Ein realistisches Finanzkonzept berücksichtigt diese Posten von Anfang an – und kalkuliert Spielräume für alternative Wege mit ein.
30. Mai 2025
Lebt eine unverheiratete EU-Bürgerin mit ihrem drittstaatsangehörigen, über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 2 AufenthG verfügenden Partner und dem gemeinsamen, wenige Monate alten Kind zusammen, verfügt diese mit einer für die Bejahung eines Anordnungsanspruchs hinreichenden Wahrscheinlichkeit über ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen, so aktuell das Landessozialgericht Berlin - Brandenburg mit rechtskräftigem Beschluss vom 25.09.2023 (L 9 AS 797/23 B ER ). Dies gilt nach Aussage der Richter zu mindestens dann, wenn eine gemeinsame Sorgeerklärung gegenüber dem Jugendamt abgegeben wurde, eine echte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft vorliegt und eine Ausreise der gesamten Familie nicht möglich ist. Der Mutter sind unter diesen Voraussetzungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Leistungen nach dem Bürgergeld zu gewähren. Kein Leistungsausschluss vom Bürgergeld gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Nach Ansicht des Gerichts verfügt die Mutter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit über ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen gemäß §§ 11 Abs. 14 Freizügigkeitsgesetz/EU i.V.m. §§ 27 ff. und § 25 Abs. 4 AufenthG i.V.m. Art. 6 Grundgesetz (GG) und Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Bei der Prüfung des Aufenthaltsrechts sorgeberechtigter Angehöriger eines minderjährigen Kindes sind Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu berücksichtigen, wonach jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2020, 1 BvR 932/20,). Dies gilt besonders, wenn die Gefahr besteht, dass ein Kind in dem ersten Jahr nach seiner Geburt von der Erziehungsleistung eines seiner Elternteile ausgeschlossen wird (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2013, B 4 AS 54/12 R). Die Grundsatznorm, wonach der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die vollziehende Gewalt dazu, die familiären Bindungen des den Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen zur Geltung zu bringen. Es müssen die Konsequenzen der Versagung eines Aufenthaltsrechts mitbedacht und im Lichte der Grundrechte auf ihre Zumutbarkeit geprüft werden. Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfalten Art. 6 GG und Art. 8 EMRK dabei nicht schon aufgrund formalrechtlicher familiärer Bindungen Entscheidend ist die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, wobei grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten ist (vgl. für Fall einer unverheirateten EU-Bürgerin, die mit einem geduldeten tunesischen Staatsangehörigen und dem gemeinsamen Kind zusammenlebt, Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 6. Dezember 2022, L 4 AS 939/20). Ausgehend davon ist ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin aus familiären Gründen hinreichend wahrscheinlich. Dass der Antragstellerin bisher kein Aufenthaltstitel erteilt worden ist, führt nicht zu einem Leistungsausschluss Denn es genügt, dass die – im Eilverfahren glaubhaft zu machenden – materiellen Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts nach dem AufenthG vorliegen, um nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen zu sein (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Mai 2023, L 1 AS 35/21; LSG Sachsen, Urteil vom 6. Dezember 2022, L 4 AS 939/20 ). In Verfahren wie dem vorliegenden ist ein Verweis auf die alleinige Zuständigkeit der Ausländerbehörde für die Ermessensprüfung unzulässig, wenn die Umstände des Einzelfalls – wie im vorliegenden Fall – darauf schließen lassen, dass eine Aufenthaltserlaubnis mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erteilen wäre (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. April 2022, L 12 AS 1323/19 ). Was spricht gegen einen Leistungsausschluss? Dafür spricht besonders, dass auch ein Aufenthaltsrecht des gemeinsamen Kindes hinreichend wahrscheinlich ist. Denn nach § 33 AufenthG kann einem Kind, das im Bundesgebiet geboren wird, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Elternteil – hier der Vater nach § 25 Abs. 2 AufenthG – eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Zwar liegt die Erteilung des Aufenthaltsrechts im Ermessen der Behörde. Der Gesetzgeber hat jedoch im Zuge der Neufassung des § 33 AufenthG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Ausübung des Ermessens der besonderen Beziehung zwischen den Eltern und dem Kleinkind unmittelbar nach der Geburt im Interesse der Gewährung der Familieneinheit und zur Aufrechterhaltung der nach Art. 6 GG besonders geschützten familiären Betreuungsgemeinschaft Rechnung getragen werden soll. Hinsichtlich des Vaters eines nichtehelichen Kindes sei dabei insbesondere zu berücksichtigen, ob ihm ein Sorgerecht zusteht oder er in familiärer Lebensgemeinschaft mit seinem Kind lebt (BT-Drs. 16/5065, S. 176). Fazit Im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens ist auch für das Kind davon auszugehen, dass eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen wäre und die Zuständigkeit der Ausländerbehörde für die Ermessenprüfung unschädlich ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. April 2022, L 12 AS 1323/19 ). Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock Fraglich und als offen zu bezeichnen ist es, wie lange es noch solche positiven Entscheidungen der Gerichte geben wird, denn nach Medienberichten möchte die neue Regierung den Familiennachzug teilweise aussetzen!!
30. Mai 2025
Rund 7,9 Millionen Menschen in Deutschland besitzen einen Schwerbehindertenausweis, das sind gut 9 Prozent der Bevölkerung. Für viele schwerbehinderte Betroffene entscheidet das Merkzeichen „aG“ – außergewöhnliche Gehbehinderung – darüber, ob ihnen Parkerleichterungen, Steuervergünstigungen oder eine erleichterte Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel offenstehen. Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat nun in einem Urteil (Az. L 3 SB 27/21) bekräftigt, dass die Hürden für eine rückwirkende Anerkennung dieses Merkzeichens äußerst hoch liegen. Der Fall: Eine lange Auseinandersetzung um wenige Meter Gehstrecke Die Klägerin, Jahrgang 1932, leidet seit Jahren unter massiven orthopädischen Beschwerden: ausgeprägte Spinalkanalstenosen, fortgeschrittener Kniegelenkverschleiß und eine Rotatorenmanschettenruptur schränken ihre Mobilität erheblich ein. Gleichwohl bestritt die Hamburger Sozialbehörde, dass schon seit ihrem ersten Antrag im Februar 2015 die Voraussetzungen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung vorlagen. Sie erkannte das Merkzeichen erst ab 1. Januar 2018 an, nachdem neuere Befunde – insbesondere eine Computertomographie – eine dramatische Verschlechterung der Wirbelsäulenverhältnisse belegten. Rechtlicher Hintergrund: Was unter „außergewöhnlich“ zu verstehen ist Der Gesetzgeber definiert schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung heute in § 229 Abs. 3 SGB IX. Entscheidend ist allein die Gehfähigkeit im öffentlichen Verkehrsraum: Wer sich „von den ersten Schritten außerhalb eines Kraftfahrzeugs an nur mit fremder Hilfe oder nur mit äußerster Anstrengung fortbewegen“ kann, erfüllt den Tatbestand. Seit zwei Grundsatzurteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. März 2023 (Az. B 9 SB 1/22 R und B 9 SB 8/21 R) ist klargestellt, dass allein die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung zählt; günstigere Fortbewegungsmöglichkeiten in vertrauter Umgebung wirken nicht entlastend. Die Beweisproblematik: Warum Rückwirkungsbegehren fast immer scheitern Vor dem LSG Hamburg kam es auf penible Details an. Die Akten enthielten widersprüchliche Angaben zur maximalen Gehstrecke der Klägerin: mal 30 Meter, mal 100 Meter, gelegentlich auch mehrere Hundert Meter. Keine der frühen ärztlichen Stellungnahmen ließ sich eindeutig einem Stichtag zuordnen; einzelne Hausarztbriefe blieben vage, während Fachbefunde fehlten. Erst die CT-Aufnahme vom Februar 2018 wies eine hochgradige Spinalkanalenge nach, die jeder Gehbewegung dauerhaft Grenzen setzte. Mangels „einheitlicher, klarer und plausibler“ Beweisdokumente für den Zeitraum ab 9. Februar 2015 verneinte das Gericht eine rückwirkende Zuerkennung. Lesen Sie auch: - Schwerbehinderung: So hoch muss der Grad der Behinderung für das Merkzeichen aG sein Konsequenzen aus dem Urteil: Früh handeln, lückenlos dokumentieren Das Hamburger Urteil ist kein Dammbruch gegen Betroffene – es ist vielmehr ein Weckruf. Wer eine außergewöhnliche Gehbehinderung geltend machen will, muss den medizinischen Verlauf konsequent festhalten lassen: regelmäßige Ganganalysen, Angaben zum Hilfsmittelbedarf, objektive Messungen der Gehstrecke und bildgebende Verfahren, sobald sich Symptome verschlechtern. Nur so entsteht eine durchgehende Beweiskette, die auch rückwirkend tragfähig sein kann. Darauf weist, praxisnah, Rentenberater Frank Weise hin, der die Klägerin begleitete. Er rät, Anträge sofort nach Eintritt gravierender Mobilitätseinbußen zu stellen und bereits vor der Antragstellung ärztliche Unterstützung einzubinden. Einordnung in die bundesweite Rechtsprechung Die Entscheidung aus Hamburg fügt sich in eine Entwicklung ein, die das BSG im Frühjahr 2023 skizziert hat: Weg von pauschalen Vergleichsgruppen (etwa Hüftexartikulierte), hin zu einer individualisierten Prüfung der mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung. Dabei darf das Versorgungsamt – so das höchste Sozialgericht – weder auf ideale Laborbedingungen verweisen noch auf Situationen, in denen sich Betroffene etwa an Geländern abstützen können. Entscheidend bleibt, ob sie sich im Alltag draußen ohne Hilfe kaum bewegen können. Bewertung: Ein Urteil zwischen Strenge und Rechtssicherheit Aus Sicht vieler Betroffener mag das Hamburger Urteil hart wirken. Tatsächlich schafft es aber Rechtssicherheit: Nur eine sauber belegte, dauerhafte Einschränkung des Gehens rechtfertigt die weitreichenden Privilegien des Merkzeichens „aG“. Für die Praxis bedeutet das: Jeder Antrag sollte von Beginn an auf solide Fakten gestützt sein. Hausärztinnen und Fachärzte sind gefordert, Befunde nicht nur knapp zu attestieren, sondern die konkrete, im Alltag relevante Gehfähigkeit präzise zu beschreiben. Geschieht das, lässt sich langwieriger Prozessstreit oft vermeiden. Ausblick Mit seiner klaren Absage an rückwirkende Großzügigkeit macht das LSG Hamburg deutlich, dass der „Sprung“ in die Kategorie außergewöhnliche Gehbehinderung keine Frage wohlmeinender Kulanz, sondern harter medizinischer Tatsachen ist. Künftig dürfte der Ausgang vergleichbarer Verfahren davon abhängen, ob Antragstellende frühzeitig ein lückenloses medizinisches Dossier vorlegen können. Wer das beherzigt, erhöht seine Erfolgschancen – und vermeidet, wie die Klägerin, eine Odyssee durch alle Instanzen.
30. Mai 2025
Die Bundesregierung plant tiefgreifende Änderungen bei der Feststellung des Grades der Behinderung (GdB). Ziel ist es, die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) an aktuelle medizinische Entwicklungen anzupassen. Kritiker warnen: Die Reform könnte den Zugang zum Schwerbehindertenausweis deutlich erschweren – hauptsächlich für Menschen mit chronischen Erkrankungen. Was steckt hinter der Reform der Versorgungsmedizin-Verordnung? Die Versorgungsmedizin-Verordnung legt bundesweit einheitlich fest, wie der GdB von Gutachtern eingeschätzt wird. Diese Einstufung entscheidet darüber, ob Betroffene Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis haben. Seit zwei Jahrzehnten wurde das Regelwerk kaum angepasst – obwohl sich Therapieformen, Hilfsmittel und Medikamente erheblich weiterentwickelt haben. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales will nun reagieren. Künftig sollen Gutachter bei der GdB-Bewertung stets davon ausgehen, dass Betroffene medizinisch optimal versorgt sind – selbst wenn diese Versorgung im Alltag nicht erreichbar oder mit hohen Eigenanteilen verbunden ist. Das bedeutet: Wer dank moderner Hilfsmittel besser zurechtkommt, wird möglicherweise mit einem niedrigeren GdB bewertet, auch wenn Einschränkungen weiterhin bestehen. Was ändert sich konkret für Betroffene? Neben der neuen Bewertungssystematik sieht der Entwurf vor, dass Schwerbehindertenausweise künftig regelmäßig befristet ausgestellt werden. Eine dauerhafte Anerkennung soll die Ausnahme sein. Das hat konkrete Folgen: Betroffene müssen häufiger Verlängerungsanträge stellen. Versäumte Fristen können zu Nachteilen führen – etwa dem Verlust von Steuervergünstigungen oder besonderem Kündigungsschutz. Die Nachweispflicht für ärztliche Unterlagen wird verschärft. Kritik aus Verbänden: „Entlastung der Kassen auf dem Rücken der Schwächsten“ Sozial- und Behindertenverbände reagieren mit deutlicher Ablehnung. Der Sozialverband VdK sowie der Deutsche Behindertenrat befürchten, dass die neuen Regelungen vor allem Menschen mit chronischen oder unsichtbaren Erkrankungen benachteiligen. Wenn moderne Hilfsmittel als ausreichend gelten, spielt die tatsächliche Einschränkung im Alltag eine untergeordnete Rolle – selbst bei andauernden Schmerzen. Rechtsanwälte und Selbsthilfegruppen berichten bereits jetzt von Fällen, in denen durch Hightech-Prothesen der GdB drastisch reduziert wurde – obwohl sich die Lebensqualität der Betroffenen kaum verbesserte. Die geplanten Neuregelungen könnten diesen Effekt zum neuen Standard machen. Lesen Sie auch: Schwerbehinderung: Pauschbetrag richtig kombinieren und damit mehrere Tausend sparen Verbesserte Zuzahlungsbefreiung bei einer Schwerbehinderung in 2025 Datenlage: Millionen Menschen könnten betroffen sein Laut dem Statistischen Bundesamt besitzen aktuell etwa 7,9 Millionen Menschen in Deutschland einen Schwerbehindertenausweis. Jährlich werden über eine Million neue Anträge gestellt – rund 30 Prozent davon nur teilweise anerkannt. Schon heute landen über 45.000 Verfahren jährlich vor Sozialgerichten. Fachleute rechnen mit einem deutlichen Anstieg an Widersprüchen, sollte die Reform in ihrer jetzigen Form verabschiedet werden. Neuerungen bei Hilfsmitteln: Ein Lichtblick für einige Gruppen Während die GdB-Einstufung künftig wohl strenger erfolgt, gibt es im Bereich der Hilfsmittelversorgung eine Verbesserung. Seit 2025 ist das sogenannte Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung (GVSG) in Kraft. Es verpflichtet Krankenkassen zur zügigen Bearbeitung von Hilfsmittelverordnungen, sofern diese von spezialisierten Versorgungszentren stammen. Die Bearbeitungsfrist beträgt nun maximal sieben Tage. Eine vorherige Einschaltung des Medizinischen Dienstes entfällt. Kinder mit seltenen Erkrankungen profitieren besonders: Laut Elterninitiativen verkürzten sich die Wartezeiten für Hilfsmittel wie Rollstühle oder Kommunikationshilfen um bis zu sechs Wochen. Widerspruch einlegen: So sichern Sie Ihre Rechte Die Gutachter bewerten den GdB auf Basis der vorliegenden Dokumente. Fehlende oder unvollständige Nachweise können eine Herabstufung bedeuten. Wer mit dem Bescheid nicht einverstanden ist, sollte folgende Schritte beachten: Innerhalb eines Monats nach Erhalt des Bescheids Widerspruch einlegen. Zusätzliche ärztliche Gutachten einreichen, möglichst von Spezialisten. Ein detailliertes Schmerztagebuch führen – insbesondere bei chronischen Leiden. Viele Sozialverbände übernehmen einen Teil der Kosten für ergänzende Gutachten. Die Investition kann sich lohnen: Ein stabiler GdB ermöglicht steuerliche Vorteile, erleichtert das Parken und gewährt Zusatzurlaub sowie Kündigungsschutz. Fallbeispiel: Wenn moderne Technik zum Risiko wird Thomas S. aus Köln nutzte eine computergesteuerte Beinprothese. Vor der Anpassung betrug sein GdB 70. Nach der Begutachtung durch das Amt drohte eine Herabstufung auf 40. Erst durch ein lückenlos geführtes Schmerztagebuch und die Unterstützung eines Fachanwalts konnte er den bisherigen Status sichern. Sein Fall zeigt: Ohne akribische Dokumentation können selbst gravierende Beeinträchtigungen kleingeredet werden. Was Sie jetzt tun können – Handlungsempfehlungen auf einen Blick Die geplanten Reformen sind noch nicht verabschiedet. Dennoch gilt: Wer vorbereitet ist, vermeidet Nachteile. Einige Tipps: Beginnen Sie rechtzeitig mit der Sammlung medizinischer Unterlagen. Prüfen Sie die Befristung Ihres Ausweises. Legen Sie sich eine Erinnerung für Verlängerungsfristen an. Sichern Sie sich rechtliche Beratung bei unklaren Bescheiden. Wie geht es weiter? Entscheidung im Bundestag steht bevor Der Gesetzentwurf befindet sich aktuell im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales. Ein Beschluss ist für Herbst 2025 vorgesehen. Sollte der Entwurf in seiner jetzigen Form verabschiedet werden, drohen zahlreiche Klagen.
30. Mai 2025
Wer nach 45 Beitragsjahren die abschlagsfreie Altersrente erreicht, kann sofort finanzielle Vorteile sichern – auch wenn er weiterarbeiten will. Viele verzichten jedoch unnötig auf mehrere zehntausend Euro Rente, weil sie glauben, das „Aufschieben“ bringe später mehr. Das Gegenteil ist oft der Fall. Früher Rentenbeginn: Warum Abwarten bares Geld kostet Viele Menschen mit langjähriger Erwerbstätigkeit denken, sie könnten ihre Altersrente einfach später abrufen – etwa ab dem regulären Renteneintrittsalter mit 67 – und bis dahin wie gewohnt weiterarbeiten. Die Hoffnung: Die Rente erhöht sich dadurch spürbar. Doch dieser Denkfehler kann teuer werden. Tatsächlich zahlt die Deutsche Rentenversicherung keine rückwirkenden Leistungen. Wer den Antrag nicht stellt, verzichtet Monat für Monat auf eine mögliche Rentenzahlung. Ein Beispiel: Wer monatlich 1.500 Euro abschlagsfreie Rente zusteht, verliert durch einen zweijährigen Verzicht insgesamt 36.000 Euro brutto. Dieser Betrag bleibt unwiderruflich in der Rentenkasse. Die Lösung: Rente beantragen und weiterarbeiten – das geht! Viele glauben, mit Rentenbeginn müssten sie ihre Berufstätigkeit aufgeben. Doch das ist falsch. Wer abschlagsfrei in Rente geht und weiterarbeitet, kann doppelt profitieren: Neben dem gewohnten Arbeitseinkommen fließt die Rente als zusätzliches Einkommen. Zusätzlich werden weiter Rentenbeiträge gezahlt, was zu einem Rentenplus ab 67 führt – ein echtes Kombimodell mit Mehrwert. Wichtig ist: Der Anspruch auf die sogenannte Altersrente für besonders langjährig Versicherte besteht bereits ab 63 Jahren, wenn 45 Beitragsjahre vorliegen. Die Regelaltersgrenze (67 Jahre) ist dafür nicht relevant. Voraussetzung ist lediglich eine Bestätigung der Rentenversicherung über die Erfüllung der Wartezeit. ExtraTipp: Teilrente schützt Krankengeldanspruch Wer parallel zur Rente weiterarbeitet, sollte statt der vollen Altersrente eine sogenannte 99,99%Teilrente beantragen. Der minimale Rentenverzicht von 0,01 Prozent fällt kaum ins Gewicht, hat aber großen Nutzen: Nur mit Teilrente besteht im Krankheitsfall ein Anspruch auf Krankengeld von der gesetzlichen Krankenversicherung. Wichtig zu wissen: Wer eine Vollrente wegen Alters bezieht und erkrankt, hat keinen Anspruch auf Krankengeld. Das kann zu erheblichen Einkommenseinbußen führen, gerade bei längerer Arbeitsunfähigkeit. Stolperfalle Betriebsrente: Rechtzeitig Rücksprache halten Ein wichtiger Punkt, mit erheblichen Folgen betrifft die Auszahlung von Betriebsrenten: Zahlreiche Versorgungseinrichtungen verknüpfen deren Auszahlung mit dem Bezug einer Vollrente. Das bedeutet, dass bei der Wahl einer 99,99%-Teilrente die Betriebsrente unter Umständen zunächst nicht zur Auszahlung kommt. Um finanzielle Engpässe oder Verzögerungen zu vermeiden, sollten Betroffene daher unbedingt vor der Antragstellung mit dem jeweiligen Versorgungsträger klären, ob die Betriebsrente auch bei Teilrentenbezug gezahlt wird und welche Unterlagen dafür erforderlich sind. Nur so lässt sich eine reibungslose Abstimmung zwischen gesetzlicher und betrieblicher Altersvorsorge sicherstellen. Rente nicht verschenken – Handlungsempfehlung für Versicherte Die gesetzliche Altersrente für besonders langjährig Versicherte ist ein rechtlich gesicherter Anspruch, der nicht ungenutzt bleiben sollte. Wer den Rentenantrag hinauszögert, verzichtet Monat für Monat auf Geld, das ihm zusteht. Wer hingegen frühzeitig seine abschlagsfreie Rente beantragt und gleichzeitig weiterarbeitet, profitiert doppelt: durch sofortige finanzielle Entlastung und durch zusätzliche Rentenpunkte für spätere Erhöhungen. Um diesen Vorteil voll auszuschöpfen, sollten Sie zunächst Ihre aktuelle Rentenauskunft sorgfältig prüfen. Sobald die Voraussetzungen – insbesondere die Wartezeit von 45 Beitragsjahren – erfüllt sind, empfiehlt es sich, die abschlagsfreie Altersrente umgehend zu beantragen. Wenn es gesundheitlich und beruflich möglich ist, spricht zudem nichts dagegen, weiterhin berufstätig zu bleiben. Besonders sinnvoll ist in diesem Zusammenhang der Bezug einer 99,99%-Teilrente. Sie bewahrt im Fall einer Arbeitsunfähigkeit den Anspruch auf Krankengeld – ein Vorteil, der bei einer Vollrente entfällt. Wer zusätzlich Anspruch auf eine Betriebsrente hat, sollte unbedingt rechtzeitig klären, ob diese auch beim Bezug einer Teilrente ausgezahlt wird. Denn manche Versorgungsträger knüpfen die Auszahlung an die Beantragung einer Vollrente. Frühzeitige Rücksprache verhindert hier finanzielle Lücken und sorgt für Planungssicherheit. Hintergrund: Warum es überhaupt Abschläge gibt Abschläge bei der gesetzlichen Rente entstehen, wenn Versicherte vorzeitig in Rente gehen, also vor der regulären Altersgrenze und ohne die nötigen Beitragszeiten. Der Gesetzgeber will so Anreize schaffen, möglichst lange im Erwerbsleben zu bleiben. Wer jedoch die 45 Beitragsjahre voll hat, kann ohne Abschläge früher in Rente gehen. Diese Ausnahme ist im § 38 SGB VI geregelt und betrifft viele Menschen aus belastenden Berufsgruppen – z. B. aus Industrie, Handwerk oder Pflege.
30. Mai 2025
Ein einst fröhlicher Sachbearbeiter, der seine Kundinnen und Kunden mit Bonbons empfängt, wird nach nur einem Jahr zum Schatten seiner selbst – ausgebrannt, gemobbt, krankgeschrieben. Danach musste er gehen. Was wie ein Einzelfall wirkt, zeigt wie es auf der anderen Seite des Schreibtisches im Jobcenter aussieht. "Ich war zu freundlich zu Bürgergeld-Beziehern" Ein Bürgergeld-Betroffener schrieb uns von der Begegnung mit einem freundlichen Jobcenter-Mitarbeiter. Anfangs ging der Mann offen auf Ratsuchende zu, versüßte Termine mit Süßigkeiten, suchte das Gespräch auf Augenhöhe. Doch Lächeln und Bonbons reichen in einem Apparat, der auf Rechtsdurchsetzung, Statistik und Deadlines getrimmt ist, offenbar nicht weit. Nach eigenen Angaben wird der Sachbearbeiter im Jobcenter von Gleichrangigen ausgegrenzt, bis seine Gesundheit kollabiert. Am Ende lädt er nur noch zur Abschiedssprechstunde, bevor er die Behörde verlassen muss. Er war zu freundlich zu Bürgergeld-Beziehern, sagt er. Doppelrolle der Jobcenter Sachbearbeiter in Jobcentern sollen einerseits existenzsichernde Leistungen auszahlen, andererseits Leistungsberechtigte in Beschäftigung bringen. Die Sachbearbeiter jonglieren gesetzliche Fristen, komplexe Sozial- und Verwaltungsnormen und ambitionierte Vermittlungsquoten. Dieses Spannungsfeld ist kein reines Gefühl, sondern messbar: Eine Auswertung der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass Jobcenter-Beschäftigte signifikant häufiger unter arbeitsbedingtem Stress leiden als andere Angestellte im öffentlichen Dienst. Wenn Zielvorgaben zur Dauerbelastung werden Der Arbeitsalltag ist von Kennzahlen geprägt, die jede Sachbearbeiterin und jeder Vermittler Monat für Monat erfüllen muss. Gewerkschaftsvertreter warnen seit Jahren, dass unbesetzte Planstellen und befristete Verträge den Druck zusätzlich erhöhen. In einer aktuellen Pressemitteilung mahnt ver.di-Vize Elke Behle, die Budgetkürzungen für 2025 gefährdeten nicht nur die Qualität der Beratung, sondern auch die Gesundheit der Beschäftigten. „Viele kündigen wieder“ – Stimmen aus dem Inneren Wie sich hoher Druck konkret auswirkt, beschreibt die Jobcenter-Sachbearbeiterin Katharina Gerking im ver.di-Magazin „Wir sind ver.di“. Überstunden seien an der Tagesordnung, manche Sachbearbeiter verdienten so wenig, dass sie selbst Bürgergeld beantragen müssten. Wer neu beginne, habe oft kaum Einarbeitung und werde sofort mit existenziellen Krisen der Klientel konfrontiert. Kein Wunder, dass viele „nach kurzer Zeit wieder kündigen“. Mit dem Bürgergeld sollte ab 2023 vieles menschlicher werden: mehr Weiterbildungs-Prämien, höhere Freibeträge, weniger Sanktionen. Eine bundesweite Online-Jobcenter-Befragung (OnJoB) des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erfasst jedoch gemischte Reaktionen aus 3 100 befragten Jobcentern. Viele begrüßten das neue Coaching-Instrument, sehen aber in milderen Sanktionen eine geringere Steuerungswirkung. Wenn der Druck nach innen schlägt Hohe Fallzahlen, widersprüchliche Rollenerwartungen und permanente Reformen begünstigen interne Spannungen. Psychologische Forschung zum öffentlichen Dienst belegt, dass Burn-out-Gefährdung besonders dort steigt, wo Verantwortung für existenzielle Entscheidungen mit geringen Handlungsspielräumen zusammentrifft. Ein aktueller Pronova-BKK-Report bestätigt: Die Burn-out-Rate erreicht mit 18 Prozent ihren Höhepunkt in mittleren Altersgruppen – eine Alterskohorte, die in Jobcentern stark vertreten ist. Wenn Teams in der Daueranspannung verharren, wächst das Risiko, dass Abweichler – wie der „Bonbon-Kollege“ – zum Mobbingziel werden. Folgen für Bürgergeld-Bezieher Für Ratsuchende bedeutet das Klima der Überlastung häufig knappe Gespräche, hektische Nachforderungen von Unterlagen und bisweilen ruppige Kommunikation. Ist der Ton scharf, eskaliert rasch der gesamte Termin – häufig zulasten derer, die ohnehin in schweren Krisen stecken. Die Rechtslage räumt Leistungsberechtigten immerhin ein wichtiges Schutzinstrument ein: Nach § 13 Abs. 4 SGB X dürfen sie zu jedem Gespräch einen Beistand mitbringen. Die Behörde muss diesen zulassen, solange er sich korrekt verhält. Lesen Sie auch: - Bürgergeld-Hammer: Jobcenter dürfen vorläufige Bescheide nicht für die Vergangenheit zurücknehmen Was sich ändern müsste Wissenschaft und Gewerkschaften nennen drei Hebel: deutlich mehr Personal, damit Beratungs- und Vermittlungsgespräche Zeit für individuelle Lösungen lassen; stabile, unbefristete Arbeitsverträge, um Know-how im Haus zu halten; sowie eine Zielsystematik, die Qualität stärker honoriert als bloße Kennzahlen. Nun soll sich unter der neuen Bundesregierung wieder alles ändern. Das was positiv began, wenn auch noch unzureichend, wird jetzt auf Druck der Politik wieder einkassiert. Mehr Sanktionen, Druck auf Leistungsbeziehende, Vermittlung in jede noch so schlecht bezahlte Arbeit und Wiedereinsetzen des Drehtür-Effekts. Was das bedeutet, liegt auf der Hand. Nicht nur der Druck der Leistungsbeziehende wird wieder höher, sondern auch bei den Sachbearbeitern. Und dieser Druck wird dann wiederrum auf die Leistungsberechtigten ausgeübt. "Ein regelrechter Bumerang-Effekt", wie auch der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt sagt.
30. Mai 2025
Wer heute die "magische Marke" von 45 Versicherungsjahren knackt, darf zwei Jahre vor dem regulären Rentenalter abschlagsfrei in den Ruhestand. Die „Altersrente für besonders langjährig Versicherte“ gilt als Privileg – doch viele, die körperlich fit bleiben oder ihre Arbeit schlicht lieben, möchten gar nicht aufhören. Genau hier lauert eine kaum bekannte Kostenfalle: Wird die abschlagsfreie Rente nicht aktiv beantragt, gehen bis zu 24 Monatszahlungen unwiederbringlich verloren. Die 45-Jahre-Regel Der Gesetzgeber honoriert extrem lange Erwerbsbiografien, indem er einen vorgezogenen Rentenbeginn ohne dauerhafte Kürzungen erlaubt. Maßgeblich sind 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen oder deren Äquivalenten – dazu zählen etwa Zeiten der Kindererziehung, des Wehrdienstes oder der Pflege naher Angehöriger. Wer die Bedingung erfüllt, darf exakt 24 Monate vor seiner persönlichen Regelaltersgrenze abschlagsfrei in Rente gehen. Bei Jahrgängen, für die 67 Jahre gelten, ist das der 65. Geburtstag. Weiterarbeiten und Rente beziehen – eine Rechnung, die aufgeht Die entscheidende Frage lautet: Warum sollte man die Rente beantragen, obwohl man weiterverdient? Die Antwort ist rein rechnerisch. Wird der Rentenantrag aufgeschoben, summieren sich in zwei Jahren ungenutzte Ansprüche schnell auf fünfstellige Beträge. Anders als bei klassischen Abschlägen gibt es keine spätere Kompensation. Gleichzeitig erlaubt die Rechtslage seit 2023 einen unbegrenzten Hinzuverdienst auch bei vorgezogenen Altersrenten. Das Beschäftigungseinkommen wird weder auf die Rente angerechnet noch begrenzt – es unterliegt lediglich Steuern und den üblichen Sozialabgaben. Damit fließen zwei vollwertige Einkommensströme zusammen. Ein zusätzlicher Pluspunkt: Wer nach dem Erreichen der persönlichen Regelaltersgrenze noch erwerbstätig bleibt, erhält für jeden hinausgeschobenen Rentenmonat einen Zuschlag von 0,5 Prozent. Ein ganzes Jahr Arbeit nach 67 erhöht die lebenslange Rente somit um sechs Prozent – auf Basis des bereits höheren Anfangsniveaus. Teilrente statt Vollrente: doppelter Schutzschirm Wird die abschlagsfreie Rente als fast vollständige Teilrente – juristisch reichen 99,99 Prozent – beantragt, bleibt der Anspruch auf wichtiges Lohnersatzgeld erhalten. Kommt es nach Beginn der Teilrente zu Arbeitslosigkeit, sind bis zu drei Monate Arbeitslosengeld I möglich. Auch beim Krankengeld greift der Schutz: Nach sechs Wochen Entgeltfortzahlung springt die Krankenkasse ein, obwohl bereits eine Altersrente fließt. Beide Leistungen entfallen bei einer sofortigen Vollrente. Der minimale Verzicht auf ein paar Cent Rente pro Monat ist daher eine Art Versicherungsprämie gegen existenzielle Risiken. Und was ist mit der Betriebsrente? Viele langjährige Beschäftigte erwarten zusätzlich eine Werks- oder Pensionskassenzahlung. Hier kann der genaue Rentenbeginn über Fälligkeit, Förderquoten oder Versorgungsabschläge entscheiden. Wer beabsichtigt, weiterzuarbeiten, sollte die Satzung oder den Pensionsvertrag prüfen (lassen), bevor er den Rentenantrag stellt. In manchen Modellen löst schon die Beantragung der gesetzlichen Rente automatisch den Start der Betriebsrente aus. Steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Folgen Rente und Arbeitslohn addieren sich zum zu versteuernden Einkommen. Während neue Rentenjahrgänge zu 100 Prozent steuerpflichtig sind, greift für den Lohn die reguläre Lohnsteuer. Der Progressionseffekt lässt sich durch gezielte Vorsorgeaufwendungen oder einen Lohnsteuer-Freibetrag mildern. Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge fallen sowohl auf den Arbeitsverdienst als auch – mit ermäßigtem Beitragssatz – auf die Rente an. Wer bereits in der Krankenversicherung der Rentner versichert ist, bleibt beitragspflichtig; angestellte Weiterarbeiter entrichten parallel den Arbeitnehmeranteil aus dem Lohn. Lesen Sie auch: - Rente: Sozialamt muss einer pflegender Bürgergeld-Bezieherin Rentenbeiträge zahlen Ein Rechenbeispiel aus der Praxis Eine 1960 geborene Meisterin erreicht im Mai 2025 das 65. Lebensjahr und erfüllt die 45-Jahre-Wartezeit. Ihre Bruttorente beträgt 1 700 Euro. Würde sie keinen Antrag stellen und erst mit 67 in Rente gehen, gingen ihr 40 800 Euro (24 × 1 700 Euro) verloren. Beantragt sie die Teilrente zu 99,99 Prozent und arbeitet zwei weitere Jahre mit einem Bruttolohn von 3 000 Euro, erzielt sie ein Gesamtbrutto von rund 4 700 Euro monatlich. Nach 24 Monaten steigen ihre Entgeltpunkte dank weiterer Beitragszahlung nochmals, und ab 67 kommt zusätzlich der Verdienstzuschlag von sechs Prozent hinzu. Fazit: Aktiv werden, statt 24 Monate weniger Rentenanspruch Wer nach 45 Beitragsjahren noch Lust auf den Beruf hat, muss nicht zwischen Arbeit und Rente wählen – er kann beides kombinieren. Entscheidend ist, die abschlagsfreie Rente rechtzeitig zu beantragen und als nahezu volle Teilrente zu gestalten. So fließen sofort die monatlichen Rentenzahlungen, während weitere Beitragsjahre das spätere Rentenniveau zusätzlich steigern. Das Ende der Hinzuverdienstgrenzen erleichtert diese Strategie erheblich. Nur wer plant, sogar über die Regelaltersgrenze hinauszuarbeiten, sollte abwägen, ob er für den späteren Zuschlag auf zwei Jahreszahlungen verzichten will. In jedem Fall gilt: Eine individuelle Beratung – besonders bei vorhandenen Betriebsrenten – schützt vor teuren Fehlentscheidungen. Wer alle Stellschrauben kennt, kann seinen Übergang in den Ruhestand flexibel gestalten und sich zugleich die Früchte einer langen Lebensarbeitszeit in vollem Umfang sichern.
30. Mai 2025
Das Sozialgericht Dresden hat mit Entscheidung hat (Az. S 45 KR 697/21) einen Bescheid aufgehoben, mit dem eine gesetzliche Krankenkasse das sogenannte Dispositionsrecht ihres Versicherten beschnitten hatte. Der 1957 geborene Kläger erhält dadurch monatlich 494 Euro mehr Erwerbsminderungsrente, weil er den Rentenbeginn – entgegen der Auffassung der Krankenkasse – selbst bestimmen durfte. Was war passiert? Im Januar 2019 hatte die Kasse den Versicherten angewiesen, innerhalb einer Frist Leistungen zur Rehabilitation zu beantragen, und ihm zugleich untersagt, gegenüber der Rentenversicherung selbst über Form, Umfang und Zeitpunkt eines späteren Rentenantrags zu entscheiden. Grundlage war § 51 Abs. 1 SGB V, der der Krankenkasse eine solche Aufforderung nur dann erlaubt, wenn „nach ärztlichem Gutachten“ die Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet oder gemindert ist. Ein solches Gutachten existierte zum Zeitpunkt des Bescheids nicht – weder in der Verwaltungsakte noch als externe Stellungnahme. Lesen Sie auch: - Bei EM-Rente keine Erfüllung für Grundrentenzuschlag - aber es gibt Möglichkeiten Was ist das Dispositionsrecht in § 51 SGB V? § 51 SGB V verfolgt ein Ziel: Krankengeldzahlungen sollen nicht unnötig verlängert werden, wenn Reha-Leistungen Aussicht auf Erfolg bieten. Gleichzeitig greift die Norm tief in die Autonomie der Betroffenen ein und verlangt darum eine qualifizierte medizinische Basis. Ohne ärztliches Gutachten darf die Kasse weder die Antragsfrist setzen noch die Entscheidungsfreiheit des Versicherten beschneiden. So wird das „Reha-vor-Rente“-Prinzip kontrolliert, ohne die Dispositionsfreiheit willkürlich einzuschränken. Warum der Zeitpunkt entscheidend ist Die Krankenkasse versuchte vor Gericht, das Versäumnis durch ein späteres Gutachten aus dem Juli 2019 zu heilen. Doch die Kammer stellte klar: Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage im Moment des Eingriffs. Ein nachträglich erstelltes Gutachten kann die ursprüngliche Entscheidung nicht legitimieren. Damit werteten die Richter das Fehlen der medizinischen Grundlage als materiellen Mangel, nicht als bloßen Verfahrensfehler – und verpflichteten die Kasse zur Rücknahme des Bescheids. Von der Reha-Aufforderung zum Rentenantrag – das Zusammenspiel mit § 116 SGB VI Parallel wirkte das System der Rentenantragsfiktion: Nach § 116 Abs. 2 SGB VI gilt ein Rehabilitationsantrag als Rentenantrag, wenn die Reha keine Aussicht auf Erfolg hat oder gar nicht erst durchgeführt wird. Genau das war hier passiert. Die Rentenversicherung legte deshalb den Rentenbeginn rückwirkend auf den 1. Dezember 2018 fest. Der Kläger wollte jedoch einen späteren Beginn – den 1. September 2019 –, weil sich dadurch eine fast 500-Euro-höhere Monatsrente ergab. Erst die Aufhebung der Dispositionsbeschränkung machte diesen späteren Zeitpunkt wieder möglich. Tragweite für den Einzelnen Der Fall zeigt, welche Folgen Verwaltungsfehler an der Schnittstelle zwischen Kranken- und Rentenversicherung haben können. Für den Kläger summiert sich der Vorteil auf knapp 6 000 Euro im Jahr. Das Urteil mahnt Krankenkassen, ihre Aufforderungs- und Eingriffsrechte mit der gebotenen Sorgfalt auszuüben. Gleichzeitig stärkt es das Vertrauen von Versicherten, dass Sozialleistungen nicht im Schatten formeller Schnellschüsse, sondern auf der Basis prüfbarer Tatsachen bewilligt oder verwehrt werden. Sozialgerichtsbarkeit Was Betroffene aus dem Urteil lernen können Versicherte, deren Krankenkasse das Dispositionsrecht einschränkt, sollten umgehend prüfen, ob ein qualifiziertes Gutachten wirklich vorliegt. Fehlt es, lohnt sich ein Widerspruch oder – wie hier – ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Auch lohnt der Blick auf den Rentenantragsfiktion-Mechanismus des § 116 SGB VI: Wer den Rentenbeginn strategisch planen will, muss sicherstellen, dass eine Reha-Aufforderung nicht unbemerkt in einen vorgezogenen Rentenantrag umgedeutet wird. Einordnung und Ausblick Das Dresdner Urteil ist rechtskräftig; eine Berufung wurde nicht eingelegt. Damit fügt es der Rechtsprechung zu § 51 SGB V ein deutliches Signal hinzu: Eingriffe in die Dispositionsfreiheit genießen keinen Vertrauensschutz, wenn ihre Voraussetzungen ex ante fehlen. Für Versicherte bleibt die Erkenntnis: Gutachten sind kein Formalismus, sondern die unabdingbare Grundlage dafür, dass Leistungskürzungen oder -verschiebungen gerechtfertigt sind. Genau darauf darf sich jeder Betroffene berufen.
30. Mai 2025
Menschen mit Behinderung können ihre Steuerlast deutlich senken – vorausgesetzt, sie kennen und nutzen alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Der Behinderten-Pauschbetrag ist dabei nur der erste Schritt. In Kombination mit anderen Steuererleichterungen wie der Fahrtkostenpauschale, Übertragungsoptionen oder außergewöhnlichen Belastungen lassen sich jährlich mehrere Tausend Euro sparen – ganz ohne Belegchaos. Steuererleichterung ohne Nachweis: Was der Pauschbetrag wirklich bringt Der sogenannte Behinderten-Pauschbetrag ist ein pauschaler Steuerfreibetrag. Er wurde eingeführt, um typische Mehrkosten auszugleichen, die Menschen mit Behinderungen dauerhaft entstehen – etwa für Medikamente, Fahrten, zusätzliche Haushaltsausgaben oder Hilfsmittel. Der Clou: Diese Ausgaben müssen nicht einzeln nachgewiesen werden. Der Betrag wird direkt von den Einkünften abgezogen, die versteuert werden müssten. Anspruch schon ab GdB 20 – ganz ohne Zusatzbedingungen Seit der Neuregelung im Jahr 2021 genügt ein Grad der Behinderung (GdB) von 20, um den Pauschbetrag zu beantragen – unabhängig von weiteren Einschränkungen. Die Höhe richtet sich gestaffelt nach dem GdB und kann bis zu 2.840 Euro im Jahr betragen. Wer als hilflos gilt oder etwa blind oder taubblind ist, profitiert sogar von einem jährlichen Freibetrag von 7.400 Euro. Beispiel: Ein Steuerzahler mit GdB 60 erhält jährlich einen Pauschbetrag von 1.440 Euro. Dieser reduziert das zu versteuernde Einkommen und senkt damit direkt die Steuerlast – oft sogar rückwirkend bis zu vier Jahre, sofern kein bestandskräftiger Steuerbescheid vorliegt. Kombination bringt mehr: So schöpfen Sie alle Vorteile aus Der Pauschbetrag ist keine exklusive Leistung. Im Gegenteil – in vielen Fällen lässt er sich mit weiteren steuerlichen Erleichterungen kombinieren. Genau darin liegt ein enormes Sparpotenzial. Fahrtkostenpauschale zusätzlich nutzbar Neben dem Behinderten-Pauschbetrag können Menschen mit Behinderung eine Pauschale für private Fahrten und Wege zur Arbeit geltend machen – vorausgesetzt, bestimmte Voraussetzungen beim GdB und Merkzeichen sind erfüllt: 900 Euro jährlich: Für Personen mit einem GdB ab 70 oder einem GdB ab 50 mit dem Merkzeichen „G“ (erheblich gehbehindert). 4.500 Euro jährlich: Für Betroffene mit Merkzeichen „aG“ (außergewöhnlich gehbehindert), „Bl“ (blind), „TBl“ (taubblind) oder „H“ (hilflos). Diese Beträge kommen zusätzlich zum Behinderten-Pauschbetrag zur Geltung und müssen in der Steuererklärung unter den außergewöhnlichen Belastungen angegeben werden. Die Kombination aus beiden Pauschalen ermöglicht eine Steuerersparnis von bis zu 10.240 Euro jährlich – ohne jeden Einzelnachweis. Lesen Sie auch: Schwerbehinderung: Mehr Zuschuss für das Auto durch GdB Schwerbehinderung: 1341 Euro im Eilverfahren für Menschen mit Behinderung durchgesetzt – Urteil Pauschbetrag übertragen: So profitieren Eltern und Ehepartner Wird der Pauschbetrag nicht vom Betroffenen selbst genutzt, kann er auf nahestehende Personen übertragen werden: Eltern: Hat ein Kind mit Behinderung kein eigenes Einkommen, können die Eltern den Pauschbetrag auf sich übertragen lassen. Voraussetzung: Sie erhalten Kindergeld oder den Kinderfreibetrag. Ehe und Lebenspartner: Bei gemeinsamer Veranlagung kann der Betrag zwischen den Partnern verschoben werden, wenn einer den Freibetrag nicht vollständig ausschöpft. Tipp: Auch die Fahrtkostenpauschale kann auf diese Weise übertragbar sein – insbesondere bei minderjährigen Kindern mit Behinderung. Hohe Gesundheitskosten zusätzlich absetzen Wer über den Pauschbetrag hinaus besonders hohe krankheitsbedingte Ausgaben hat – etwa für spezielle Therapien, stationäre Kuren oder Operationen – kann diese zusätzlich geltend machen. Das funktioniert über § 33 EStG („außergewöhnliche Belastungen allgemeiner Art“), sofern die Kosten die sogenannte „zumutbare Belastung“ übersteigen. Der Behinderten-Pauschbetrag muss nicht aufgegeben werden, wenn die geltend gemachten Kosten über die typischen Aufwendungen hinausgehen. Beispiel: Neben dem Pauschbetrag für GdB 80 (2.120 €) können auch 4.000 € an Zuzahlungen für eine Spezialtherapie geltend gemacht werden – sofern diese nachweislich angefallen sind. Pflege-Pauschbetrag zusätzlich für Pflegende nutzbar Wer unentgeltlich eine hilflose Person oder jemanden mit Pflegegrad 2 oder höher betreut, kann zusätzlich zum Behinderten-Pauschbetrag der gepflegten Person den Pflege-Pauschbetrag erhalten. Dieser beträgt: 600 bis 1.800 Euro jährlich, abhängig vom Pflegegrad 1.800 Euro pauschal, wenn die gepflegte Person als hilflos gilt Praxisnutzen: Die gepflegte Person nutzt ihren eigenen Pauschbetrag – und der Pflegende erhält zusätzlich seinen Pflege-Pauschbetrag. Eine Doppelentlastung, die oft übersehen wird. Wichtig für Geringverdiener und Bürgergeld-Bezieher Auch Menschen mit geringem Einkommen oder Bürgergeldbezug können vom Behinderten-Pauschbetrag profitieren – selbst dann, wenn sie keine oder nur sehr geringe Steuern zahlen. Der Pauschbetrag wird steuerlich als Freibetrag behandelt und zählt daher nicht als Einkommen im sozialrechtlichen Sinne. Das bedeutet: Er hat keinerlei Auswirkungen auf die Höhe des Bürgergeldes oder anderer Sozialleistungen. Gleichzeitig kann sich die Angabe in der Steuererklärung dennoch lohnen. In vielen Fällen entfallen durch den Pauschbetrag Zusatzabgaben wie der Solidaritätszuschlag oder die Kirchensteuer – manchmal kommt es sogar zu einer Steuererstattung. Für Betroffene ergibt sich daraus ein klarer Vorteil: Auch bei niedrigem Einkommen lohnt sich der Antrag, zumal der Pauschbetrag bis zu vier Jahre rückwirkend geltend gemacht werden kann. So beantragen Sie den Pauschbetrag korrekt Der Antrag erfolgt über die Anlage „Außergewöhnliche Belastungen“ in der Einkommensteuererklärung. Wichtig ist, dass der Grad der Behinderung durch einen amtlichen Bescheid, einen Schwerbehindertenausweis oder Rentenbescheid nachgewiesen wird. Auch bei bereits vorliegender Anerkennung sollte der Antrag aktiv gestellt werden. Lohnsteuerhilfevereine, Sozialverbände (z. B. VdK, SoVD) oder Steuerberater unterstützen bei der Antragsstellung – besonders hilfreich, wenn mehrere Freibeträge oder Kombinationen infrage kommen.
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Von der Arbeitsmarktreform sind Millionen von Menschen betroffen. Vieles ist im SGB II unklar und auf die individuellen Bedarfe des Einzelnen zu pauschal ausgelegt. Laut einiger Erhebungen, sollen nur rund 50 Prozent aller Bescheide der Jobcenter mindestens teilweise falsch und rechtswidrig sein. Das bedeutet für die Menschen oft tatsächliche Beschneidungen in Grundrechten und Ansprüchen.
Diese Plattform will daher denen eine Stimme geben, die kein Gehör finden, weil sie keine gesellschaftliche Lobby besitzen. Bezieher von Bürgergeld (ehemals Hartz IV) werden nicht selten als "dumm" oder "faul" abgestempelt. Es reicht nicht, dass Leistungsberechtigte mit den täglichen Einschränkungen zu kämpfen haben, es sind auch die täglichen Anfeindungen in den Jobcentern, in der Schule, in der Familie oder auf der Straße. Neben aktuellen Informationen zur Rechtssprechung konzentrieren wir uns auch auf Einzelfälle, die zum Teil skandalös sind. Wir decken auf und helfen damit den Betroffenen. Denn wenn eine Öffentlichkeit hergestellt wurde, müssen die Jobcenter agieren. Sie bekommen dadurch Druck. Lesen Sie mehr darüber in unserem redaktionellem Leitfaden!